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„Die Insel der Unschuldigen“ von Jess Kidd

von Marie
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Rezension zu Die Insel der Unschuldigen von Jess Kidd

Jess Kidd gehört mittlerweile zu meinen Lieblingsautorinnen. Schon mit ihrem Debüt Der Freund der Toten hat mich die britische Autorin über alle Maßen begeistert. Da auch die nachfolgenden Titel Heilige und andere Tote und Die Ewigkeit in einem Glas vor allem sprachlich großartig waren, war meine Vorfreude auf ihren neuen Roman Die Insel der Unschuldigen immens.

Worum geht es in Die Insel der Unschuldigen?

Jess Kidd erzählt die Geschichte auf zwei Zeitebenen. Zunächst lernen wir die neunjährige Mayken kennen, die 1628 gemeinsam mit ihrem Kindermädchen auf der Batavia zu ihrem Vater nach Java reist. Neugierig erkundet sie das Schiff und lernt die Legende um ein gruseliges, aalähnliches Wesen kennen und fürchten.

Die Batavia fährt mit ihrer Fracht aus Kostbarkeiten, Wanderratten und Menschenseelen hinaus auf die stürmische Nordsee.

Seite 18

Auf der anderen Zeitebene treffen wir auf den ebenfalls neunjährigen Gil, der 1989 den Tod seiner Mutter verkraften muss und zu seinem Großvater auf eine kleine Insel geschickt wird. Dort versuchen Wissenschaftler, ein Schiffswrack zu bergen. Auch Gil bekommt eine unheimliche Geschichte zu hören. Und diese hat mit einem toten kleinen Mädchen zu tun.

Sprache, Sprache, Sprache

Hach, was für ein grandioses Buch! Jess Kidds Art, mit Worten umzugehen, trifft genau meinen Lesenerv. Hervorragend übersetzt von Werner Löcher-Lawrence, hat mich Die Insel der Unschuldigen ab der ersten Seite gefesselt.

Gil hält seine Gedanken auf dieser einsamen Insel und lässt sie nicht zurück übers Wasser, zurück an Land, wo die wahren Geister leben.

Seite 110

Der kleine Gil, der sich gerne mal in grünes Brokat kleidet und seine eigene Modenschau gestaltet, hat sich sofort in mein Herz geschlichen. Der Verlust seiner Mutter, das Geistermädchen, sein schweigsamer Großvater – es gibt so vieles, das ihn beschäftigt und belastet. Beeindruckend, wie Jess Kidd dann Gils Geschichte mit der von Mayken verknüpft, die über 360 Jahre früher mit ihrer unerschrockenen Art ein ganzes Schiff erkundet.

Wenn sie die Grenze überschreitet, wird sie einem schrecklichen Unglück zum Opfer fallen. Da sind Taue, die um sich schlagen, sich verdrehende Winden, dahinschwenkende Segel und ein Meer, in das man gespült werden kann. Und das Schiff dreht für niemanden um.

Seite 40

Auch Mayken hat mich von Anfang an fasziniert. Auf eigene Faust jagt das kleine Mädchen ein furchtbares Monster, bei dem man nie sicher ist, ob es tatsächlich lebt oder ihrer Fantasie entspringt. Ihre Entschlossenheit, ihr Mut und ihr großes Herz machen sie sehr liebenswert. Ganz bezaubernd die Freundschaft mit einem alten Seemann, der ihr auf keinen Fall die Namen der Sterne erzählen soll, da sie sonst ihr Mysterium verlieren.

Ein tragisches Schiffsunglück

Kidds fulminanter Umgang mit der Sprache lässt mich nur so durch die Geschichte fliegen. Wie sie die Schicksale der beiden Kindern verknüpft und aufzeigt, dass Menschen einfach immer grausam sind, egal in welchem Jahrhundert sie leben, ist atemberaubend. Überhaupt ist das Buch teilweise sehr brutal. Mehr, als ich anfangs dachte.

Die größte Schande der Menschheit ist das Versagen der Starken, die Schwachen zu beschützen. Wir brauchen keine Ungeheuer, Gil, wir sind es selbst.

Seite 219

Das lässt mich Die Insel der Unschuldigen nicht weniger lieben, sollte aber dennoch erwähnt werden. Wie schon geschrieben: Menschen können sehr grausam sein …

Auch erwähnen möchte ich, dass die Geschichte der Batavia auf einem wahren Ereignis basiert. Damit es spannend bleibt, solltet ihr die Suchmaschinen nicht vor dem Ende des Buches bemühen. Allerdings entwickelt das Buch einen derartigen Sog, dass ihr es eh nicht aus den Händen legen wollt. Ich habe mitgefiebert und mitgelitten – danke Jess Kidd für diesen großartigen Roman.

Fazit

Atemberaubend, berührend – und grausam: Die Insel der Unschuldigen ist ein hervorragend geschriebener Roman, der auf zwei Zeitebenen spielt und dank Jess Kidds Sprachkunst ab der ersten Seite begeistert. Eine Leseempfehlung von Herzen.

Herzlichen Dank an den Dumont Verlag für das Rezensionsexemplar.

Die Insel der Unschuldigen (OT: The Nightship) von Jess Kidd.
Am 18.04.2023 im Dumont Verlag erschienen.
Aus dem Englischen übersetzt von Werner Löcher-Lawrence.
ISBN: 978-3-8321-8227-4 / 475 Seiten
Bewertung: 5/5

Tipp: Wenn euch die Geschichte auf der Batavia gefällt, sollte ihr im Anschluss unbedingt zu dem ebenfalls mitreißenden Kriminalroman Der Tod und das dunkle Meer von Stuart Turton greifen. Ich garantiere Aha-Momente.

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