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„Der Morgenstern“ von Karl Ove Knausgård

von Marie
Veröffentlicht: Letztes Update 78 Aufrufe
Der Morgenstern von Karl Ove Knausgård

Kennt ihr das Gefühl, ein Buch könnte zu schwierig für euch sein, zu sperrig oder literarisch geschrieben? Mit so einem Gefühl habe ich im letzten Jahr Wolkenkuckucksland von Anthony Doerr angefangen, welches sich letztlich zu meinem Jahreshighlight entwickelte. Und so ein Gefühl hatte ich auch, wenn mir jemand Bücher von Karl Ove Knausgård empfohlen hat. Obwohl einiges verlockend klang, habe ich bisher einen Bogen um seine Bücher gemacht. Nun klang die Inhaltsangabe von Der Morgenstern aber so gut, dass ich es unbedingt lesen wollte. Und – meine Güte – es hat sich gelohnt! Was für ein großartiges Werk.

Worum geht’s?

Es ist Sommer in Norwegen und wir begleiten das Leben von neun unterschiedlichen Menschen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen. Erst sind es nur Kleinigkeiten, die den Menschen auffallen – die Tiere verhalten sich merkwürdig, die Hitze erscheint noch stärker als sonst. Doch die Kleinigkeiten häufen sich. Ob das an dem neuen Stern liegt, der am Himmel aufgegangen ist?

Als die Straße in nördliche Richtung schwenkte, stand am Himmel über uns der Stern. Er war schön. Schön, wie der Tod schön war.

Seite 402

Zwei Tage im August

In Der Morgenstern zeigt uns Karl Ove Knausgård das ganz alltägliche Leben von fünf Frauen und vier Männern. Es wird gearbeitet, geliebt, geweint und gestorben. Und es wird sehr körperlich, denn der Autor macht weder vor der Schlafzimmer- noch vor der Badezimmertür halt. Wir werden in den Tag eines Menschen hineingeworfen und wieder herausgezogen, so als ob man durch das Fernsehprogramm zappt. Manche Personen tauchen nur kurz auf, wie z. B. Vibeke, die ein Geburtstagsfest für ihren Mann vorbereitet. Manche länger, wie der Journalist Jostein, der mit seiner Arbeit im Kulturbereich hadert, in den er wegen eines nur kurz gestreiften Vorfalls abgeschoben wurde.

Oh, August, du mit deiner Dunkelheit und Wärme, deinen süßen Pflaumen und deinem sonnenversengten Gras! Oh, August, du mit deinen todgeweihten Schmetterlingen und zuckerbesessenen Wespen!

Seite 14

Gemeinsam haben sie nur wenig. Sie wohnen in der Küstenstadt Bergen, wundern sich über die ungewöhnliche Hitze und schauen alle mehr oder weniger besorgt zu diesem neuen Stern hinauf. Manche Geschichten werden minimal verflochten, so wie die von Egil, der an seine erste Liebe Kathrine zurückdenkt, die nun als Pastorin arbeitet und in einer unglücklichen Ehe feststeckt. Insgesamt haben die Personen aber wenig bis gar nichts miteinander zu tun.

Philosophische Fragen

Karl Ove Knausgård spielt gekonnt mit den verschiedenen Erzählsträngen, lässt die Menschen in ihrem jeweiligen Kapiteln als Ich-Erzähler auftreten. Sie sind auch ein Gerüst für große Fragen, die der Autor in sein Werk eingebaut hat: Klimawandel, Freiheit, das Leben nach dem Tod, Religion. Dabei wird es gerade zum Ende sehr philosophisch und es braucht Konzentration, den Gedankengängen zu folgen.

„Heißt das, das Totenreich wird wirklich, sobald du daran glaubst?“ „Nein, nicht wirklich. Aber Welt und Wirklichkeit sind nicht das Gleiche – die Welt ist die physische Realität, in der wir leben, während die Wirklichkeit darüber hinaus all das umfasst, was wir über sie wissen, von ihr denken und über sie fühlen. Das Totenreich gehörte früher zur Wirklichkeit. Aber ein Bestandteil der Welt ist es nie gewesen.“

Seite 54

Es lohnt sich, da man mit einem großartigen Roman belohnt wird. Sperrig finde ich ihn absolut nicht, im Gegenteil, er ist sehr gut lesbar. Durch die knapp 900 Seiten bin ich förmlich geflogen.

Ein Spiel mit den Erwartungen

Und was ist nun mit dem Morgenstern? Über dessen Bedeutung lässt Knausgård seine Charaktere im Unklaren – so wie auch den Leser. Überhaupt scheint der Autor Spaß daran zu haben, Geschichten aufzuwerfen und sie einfach wieder fallen zu lassen, so wie die von Emil, der in einem Kindergarten arbeitet und versehentlich ein Kind vom Wickeltisch fallen lässt. Aber vielleicht werden diese Geschichten später wieder augegriffen? Weitere Bücher sind geplant und die Veröffentlichung für Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit (was für ein wunderbarer Titel!) wurde bereits für Februar 2023 angekündigt.

Fazit

Der Morgenstern ist ein tiefgründiger Roman, der in anspruchsvollen Episodengeschichten das alltägliche Leben von neun norwegischen Menschen beleuchtet. Ein hervorragender Schreibstil und sehr gut ausgearbeitete Charaktere machen Karl Ove Knausgårds Buch zu einem Lesefest.

Herzlichen Dank an das Bloggerportal von Penguin Randomhouse für das Rezensionsexemplar.

Der Morgenstern (OT: Morgenstjernen) von Karl Ove Knausgård
am 11.04.2022 im Luchterhand Literaturverlag erschienen.
Übersetzt von Paul Berf.
ISBN: 978-3-630-87516-3 / 896 Seiten

2 Kommentare

Tanja v. Der Duft von Büchern und Kaffee 15. Oktober 2022 - 11:32

Hallo liebe Marie,
vielleicht ist dieses Buch vom Genre her nicht so unbedingt meins. Aber du hast mich – und das spricht für das Buch (oder eben für deine wundervolle Rezension) – hier absolut abgeholt. Mit einem guten Schreibstil bekommt man mich ja auch. Alleine dein erstes Buchzitat hat mir schon sehr zugesagt.
Ich denke, für Leser dieses Genres ist das eine sehr schöne Empfehlung. Ich danke dir für diesen horizonterweiternden Einblick.

Ganz liebe Grüße
Tanja :o)

Antworte
Marie 15. Oktober 2022 - 15:33

Hallo Tanja,
vielen Dank für deinen lieben Kommentar. Ich freue mich, wenn ich dir ein Buch nahebringen konnte, das so vielleicht nicht dein Interesse geweckt hätte.
Ich wünsche dir ein schönes Wochenende.
liebe Grüße
Marie

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