Werbung: Herzlichen Dank an den Piper Verlag und vorablesen.de für das Rezensionsexemplar.
Chris Whitaker hat sich bereits mit Von hier bis zum Anfang in mein Herz geschrieben. Was für ein intensives Leseerlebnis. Nach Was auf das Ende folgt (ebenfalls ein sehr guter Roman) ist mit In den Farben des Dunkels nun Whitakers dritter Roman erschienen. Und ich kann euch sagen, meine Erwartungen waren sehr hoch.
Gelungene Genremischung
Meine Sorge, ob mich der Roman begeistern kann, verflüchtigt sich schon auf den ersten Seiten. Denn nur ein paar Seiten hat es gebraucht, damit mich Chris Whitaker mit seinem großartigen Schreibstil – ebenso großartig von Conny Lösch übersetzt – erneut mitreißt und nicht mehr loslässt. Der Mann versteht es einfach zu schreiben! Schon der erste Absatz treibt mir die Tränen in die Augen – und es wird nicht das letzte Mal sein.
Der Reiz des Fiktiven konnte eine grausame Realität oft erträglicher machen.
Seite 9
In einer genialen Mischung aus Krimi, Gesellschaftsroman und leiser Liebesgeschichte erzählt der Autor von den beiden Außenseitern Saint und Patch, die sich bereits als Kinder finden und über Jahrzehnte verbunden sein werden, auch wenn sie nicht zusammen sind. Und das sind sie schon viel zu bald nicht mehr, denn Patch wird von einem maskierten Mann verschleppt, der es eigentlich auf Misty, das beliebteste Mädchen der Schule, abgesehen hat. Patch rettet sie und wird selbst zum Gefangenen. Niemand weiß, wo er ist und ob er überhaupt noch am Leben ist.
Eine Ewigkeit im Dunkeln
Patch verbringt Monate in vollkommener Dunkelheit. Er weiß nicht, ob es Tag oder Nacht ist, weiß nicht, wie lange er überhaupt schon in seinem Gefängnis vor sich hin vegetiert. Doch Chris Whitaker wirft ihm einen Rettungsanker in Form eines Mädchens zu. Er schickt Grace zu dem Jungen in die Dunkelheit. Sie wird Patchs Symbol für Hoffnung, baut ihn auf, wenn er aufgegeben will. Im Bösen lässt Whitaker hier etwas Gutes entstehen, eine zarte Liebe entwickelt sich zwischen den beiden jungen Menschen, obwohl sie einander nicht einmal richtig sehen können.
In diesem einen vollkommenen Augenblick waren sie beinahe nur noch zwei Teenager, die sich ineinander verliebten.
Seite 122
Zu schaffen macht Patch allerdings, dass sie immer wieder für einige Zeit verschwindet. Was muss sie ertragen, wenn sie nicht bei ihm ist? Wenn sie wieder da ist, zeigt sie ihm ihre Welt und das nur durch die Kraft ihrer Worte. Mit ihnen lässt Grace die weite Welt vor seinen Augen entstehen. Sie erzählt sehr detailliert von Städten und Landschaften, von Kunst und Religion – Dinge, die eine größere Rolle spielen werden, als Patch sich vorstellen kann.
Wendungsreiche Geschichte
Chris Whitaker baut einige Wendungen in seinen großartigen Roman ein. Wendungen, die sämtliche Emotionen bedienen. Ich verspürte Wut, Mitleid, Trauer, aber auch Hoffnung und Freude angesichts gelebter Mitmenschlichkeit. Dass dies alles so bewegt, liegt auch an Whitakers Kunst, vielschichtige Charaktere zu zeichnen. Seine Figuren wirken so real, scheinen direkt aus dem echten Leben zu kommen, dass ihre Geschichten mich einfach mitnehmen.
Patch fragte sich, ob Hoffnung auch eine Art von Bestrafung war, viel schlimmer als Gewissheit.
Seite 209
Saint und Patch haben beide ihre sehr guten, aber auch weniger guten Seiten. Bei Patch treten diese nach seinem Martyrium in der Dunkelheit hervor. Seine Odyssee ist nach seiner Rettung nicht zu Ende. Sein Leben wird fortan nämlich nur noch von dem Gedanken bestimmt, Grace zu finden und dafür tut er alles, schreckt auch vor kriminellen Aktivitäten nicht zurück.
Während Patch die Erinnerung an Grace nicht loslässt und den wenigen Hinweisen (manchmal sind es auch nur Ahnungen) meilenweit durchs Land folgt, kämpft Saint auf ihre Weise mit der Vergangenheit, ihren Dämonen und ihrer Liebe zu Patch. Obwohl sie beruflich andere Wege einschlagen wollte, entwickelt sie sich zu einer sehr guten Polizistin mit dem Blick fürs Wesentliche. Patchs Entführer zu finden, wird zur Lebensaufgabe – das, und die Suche nach Grace, von der ansonsten alle annehmen, sie wäre lediglich ein von Patch ersonnenes Hirngespinst. Alles, was Saint glaubt zu wissen, wird auf die Probe gestellt, doch sie gibt nicht auf.
Saint schloss die Augen. »Trotzdem sitze ich hier und fühle nichts als Angst. Ich höre nichts als Stille.« »Die Bösen sind in der Minderheit, aber oft schreien sie lauter als die Mehrheit. Du darfst Schweigen nicht mit Schwäche verwechseln.«
Seite 319
Bewegend bis zum Schluss
Eindringlich zeigt Whitaker, wie es Menschen ergeht, die Furchtbares erleben – nicht, in dem er die Taten beschreibt, sondern in dem er zeigt, was diesen Menschen genommen wird. Ihnen und auch ihren Angehörigen und Freunden. Wie viel Leid versucht wird, körperlich aber vor allem seelisch.
Patch erwachte als Ertrinkender, das Bettzeug war zerwühlt. Schweißnass ging er ins Bad und weihte seine Albträume mit kaltem Wasser.
Seite 156
In den Farben des Dunkels hat mich bis zur letzten Seite begeistert und mündet in einem Ende, das mich noch einmal sehr berührt. Ein Buch, das trotz seiner vielen Seiten durchgehend unterhält (tatsächlich ohne Längen!) und auf vielen Ebenen bewegt. Ein Leseereignis.
Fazit
Mit In den Farben des Dunkels hat Chris Whitaker erneut einen herzzerreißenden Roman geschrieben, der alle Emotionen bedient und mit einigen Wendungen aufwartet. Hervorragend gezeichnete Charaktere und ein mitreißender Stil machen diesen Roman zu einem Highlight. Eine große Empfehlung!
In den Farben des Dunkels (OT: All the Colours of the Dark) von Chris Whitaker.
Am 27.06.2024 im Piper Verlag * erschienen.
Übersetzt von Conny Lösch.
ISBN: 978-3-492-07153-6 / 592 Seiten
Buch kaufen bei:
6 Kommentare
Fast 600 Seiten ohne Längen und dann klingt es auch noch so emotional mitreißend… das muss ich wohl schleunigst lesen. Hatte es tatsächlich schon auf meiner Liste, aber es ist höher gerutscht. :)
Das ist natürlich nur mein Eindruck, aber ich bin nur so durchgeflogen. Es ist wirklich sehr sehr gut! 🥰
Hallo liebe Marie,
das klingt nach einer sehr berührenden Geschichte. Die kurzen Zitate geben auch einen schönen Einblick in den Schreibstil, der im Buch verwendet wird.
Oftmals hat man ja bei Büchern schon zwischendurch (gerade bei dieser Länge) mal das ein oder andere „Hängerchen“. Dass du dich bei 590 Seiten durchweg unterhalten gefühlt hast, spricht für das Buch.
Ich danke dir für diese sehr interessante Vorstellung eines Buches, das ohne deine Rezension vermutlich an mir vorbeigegangen wäre.
Ganz liebe Grüße
Tanja :o)
Liebe Tanja,
das freut mich wirklich sehr, dass ich dich für das Buch interessieren konnte. Chris Whitaker schreibt so gut, ich bin absolut begeistert. 😍 Und ich denke, mit dem Genre-Mix spricht er auch unterschiedliche Leser an.
Solltest du es lesen, bin ich sehr gespannt, wie es dir gefällt.
Liebe Grüße
Marie
Ach Marie, das klingt so gut, ich freue mich, bei dir immer so spannende Bücher zu entdecken. Ich habe von dem Titel schon gelesen, daher war deine Rezension noch einmal sehr aussagekräftig für mich, um auch weiter Interesse zu entwickeln.
Schönes Wochenende für dich!
Zeilentänzerin
Ich freue mich immer so sehr, wenn du das schreibst, liebe Zeilentänzerin! Und ich freue mich, dass ich meine Begeisterung vermitteln kann. Ich bin sehr sicher, dass dich das Buch auch begeistern wird. Alleine seine Charakterzeichnungen – grandios :)
Dir auch ein schönes Wochenende!
Liebe Grüße
Marie