Werbung: Herzlichen Dank an dtv für das Rezensionsexemplar.
Ich lese sehr gerne Jugendbücher – das ist sicher kein Geheimnis mehr, wenn ihr öfter auf meinem Blog vorbeischaut. Als ich den Klappentext zu K. J. Reillys Das Verhalten ziemlich normaler Menschen gelesen habe, war klar, dass ich auch an diesem Jugendroman nicht vorbeikomme.
Das Verhalten ziemlich normaler Menschen – worum geht es?
K. J. Reilly erzählt von Asher, dessen Mutter von einem betrunkenen LKW-Fahrer totgefahren wurde. Vor Gericht kommt der Mann ungestraft davon, weil es bei der Unfallaufnahme einen Formfehler gab. Asher wird von seinem Vater zu einer Trauergruppe überredet und geht schließlich gleich in zwei. Eine für Kinder bzw. Jugendliche wie ihn, eine für erwachsene Trauernde. Er lernt die etwa gleichaltrigen Jugendlichen Sloane und Will kennen, außerdem den 80-jährigen Henry. Sie alle haben geliebte Menschen verloren. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg nach Memphis. Henry will das Haus von Elvis sehen – ein Traum, den er eigentlich mit seiner verstorbenen Ehefrau erleben wollte. Auch Sloane und Will haben persönliches Interesse an diesem Roadtrip. Ashers Grund – nämlich den Mörder seiner Mutter zu finden und zu töten – erfährt niemand. Doch auf der langen Reise ändert sich etwas bei Asher und auch bei seinen Mitreisenden.
Bis zu Applebee’s zwei Stunden westlich von Knoxville, Tennessee, brauchten wir sechsundzwanzig Stunden und siebenunddreißig Minuten. Auf dem Weg verliebte ich mich in ein Auto voller Fremder. Und die Hälfte von ihnen war tot.
Seite 159
Tiefgründig und emotional
Das Verhalten ziemlich normaler Menschen von K. J. Reilly ist ein tiefgründiges und berührendes Buch, das die Leser auf eine emotionale Reise mitnimmt – wortwörtlich. Im Mittelpunkt steht Asher, dessen Mutter von einem betrunkenen LKW-Fahrer getötet wurde. Aus seiner Sicht wird diese gefühlvolle Geschichte erzählt, die mir mehr als einmal Tränen in die Augen getrieben hat. Der Grund dafür ist, dass Asher viele Einblicke in seine Gedanken gewährt, die tieftraurig, manchmal böse und teilweise sogar ohne Hoffnung sind. Der Junge ist überzeugt, dass er Schuld am Tod seiner Mutter ist. Seine Verzweiflung darüber ist auf jeder Seite spürbar.
Im vergangenen Jahr kamen in den Vereinigten Staaten genau 10262 Menschen durch betrunkene Fahrer ums Leben, und es wäre einer weniger gewesen, wenn meine Mom nicht zum Einkaufszentrum gefahren wäre, um mir neue Fußballschuhe zu kaufen.
Seite 19
Das ist so unfassbar traurig, dass ich ihn immer wieder in den Arm nehmen möchte – aber das hätte Asher niemals zugelassen. Er ist in einer Abwärtsspirale aus Trauer und Selbsthass gefangen und will keinen Trost. Er will nur den Mörder seiner Mutter töten.
„Schwach und verletzlich“ könnte meine Heimat sein, aber „angepisst“ ist ein sicherer Hafen, wo man sich aufhalten kann, wenn das Leben auseinanderfliegt – es ist so schön dort, dass sich, wie Dr. KeineAhnungvonnichts mehrfach mir gegenüber ausgeführt hat, manche von uns (er meinte mich) dort einrichten und auf Dauer bleiben.
Seite 124
Trauer ist komplex
Durch die Verbindung zu Sloane, Will und Henry bekomme ich außerdem die vielen verschiedenen Arten von Trauer vermittelt, denn Trauer ist komplex. Es gibt nicht nur eine Art zu trauern. Sehr authentisch zeichnet K. J. Reilly hier die vier Protagonisten und bringt sie mir dadurch sehr nahe, auch wenn Asher der Ich-Erzähler ist. Henry, der die Asche seiner verstorbenen Ehefrau mit auf den Roadtrip nimmt, ist ein ganz wunderbarer Mensch. Jemand, den wir alle auf unserem persönlichen Trauer-Roadtrip brauchen. Genau wie Sloane und Will, die eine perfekte Ergänzung zu Asher und Henry sind.
Ich erzähle ihnen, dass mein hundertjähriger Freund Henry, dessen Frau gestorben ist, das Haus von Elvis sehen möchte, und dass wir ihn hinbringen sollten. Beide sagen sofort Ja, als wäre eine Fahrt nach Graceland mit einem alten Mann und dem neuen Typen, den sie gerade erst in Zimmer 212 kennengelernt haben, genau das, worauf sie gewartet hatten.
Seite 97
Reilly beschreibt auch die inneren Kämpfe der anderen Charaktere mit einer großen Sensibilität und so intensiv, dass jeder, der jemals getrauert hat oder immer noch trauert, sich in der einen oder anderen Figur wiedererkennen wird. Wollen wir etwas machen, was dem Toten nicht mehr vergönnt ist – sozusagen an seiner statt? Wollen wir noch mal den Ort besuchen, an dem wir zum letzten Mal mit der Person zusammen waren? Verspüren wir Wut oder Verzweiflung oder beides? Die kleinen und großen Momente der Trauer sind nicht immer laut oder dramatisch, nein, sie kommen auch leise und subtil daher, wie ein dunkler Schatten, der über den Figuren schwebt. Diese Darstellung macht die Trauer greifbar und nachvollziehbar.
Trauer verbindet
Als sehr schön empfand ich auch, wie die Autorin zeigt, dass Trauer nicht nur isolieren, sondern auch verbinden kann. Asher, Will, Sloane und Henry sind durch ihren Kummer vereint. Ihre Beziehung ist zwar durch einen furchtbaren Verlust und daraus resultierenden Schmerz entstanden, doch in ihrem Zusammensein finden sie auch Trost und natürlich Verständnis, weil alle ähnliches durchmachen. Sie machen sich klar, dass sie traurig sein dürfen, aber dass die Trauer nicht ihr Leben bestimmen soll.
Seid nicht so traurig, dass die Trauer euch kaputtmacht. Denn wenn ihr so traurig seid, dass die Trauer euer Leben zerstört, bedeutet das, dass der Krebs oder der Unfall oder der Herzinfarkt, der euch das Liebste genommen hat, auch euch geholt hat.
Seite 102
Und das tut sie irgendwann auch nicht mehr. Alle vier stellen fest, dass sie lachen dürfen, Spaß haben dürfen, sich auch an Kleinigkeiten erfreuen dürfen. Das bedeutet nicht, dass sie den verstorbenen Menschen weniger lieben oder vermissen. Die Komik, die die Autorin immer wieder in ihr Jugendbuch einbaut, ist genau richtig.
Mich hat Das Verhalten ziemlich normaler Menschen sehr bewegt und ich empfand sämtliche Emotionen als sehr echt. Schwierige Zeiten lassen sich besser überstehen, wenn man füreinander da ist, das zeigt K. J. Reilly eindrücklich und berührend. Ein wunderbares Buch, ein Highlight!
Fazit
Das Verhalten ziemlich normaler Menschen ist ein sehr emotionales Jugendbuch über die vielen Facetten der Trauer. Ein Roadtrip mit vier besonderen, authentischen Charakteren, die bewegen und begeistern. Ich habe gelacht und geweint und das Buch in mein Herz geschlossen. Lest es!
Das Verhalten ziemlich normaler Menschen (OT: Four for the Road) von K. J. Reilly.
Am 17.10.2024 bei dtv in der Reihe Hanser erschienen.
Aus dem Englischen übersetzt von Ute Mihrt.
ISBN: 978-3-423-65040-3 / 352 Seiten
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4 Kommentare
Ich bin ehrlich gesagt kein Fan von Roadtrips (auch wenn ich ein paar wenige gute gelesen habe), aber das Buch reizt mich. Ich bin sicher, dass ich mit Asher (und den anderen) fühlen werde. Danke für den Tipp. :)
Welche guten hast du denn gelesen? Ich bin nämlich ein großer Fan von Roadtrip-Geschichten. Ich glaube auch, dass dich das Buch berühren wird. Es ist wirklich wundervoll. ❤️
Ich habe „Tschick“ gut in Erinnerung – ob ich das immer noch finden würde, weiß ich nicht, es ist viele Jahre her, dass ich es gelesen habe.
Und „Marianengraben“ mochte ich.
Ich könnte eher Enttäuschungen aufzählen in Sachen Roadtrip. :D Zum Beispiel fand ich „Der erste letzte Tag“ von Fitzek blöd, in Wells „Fast genial“ hat mich der Roadtrip gelangweilt, auch O’Learys „Drive Me Crazy“ konnte nicht so überzeugen wie ihre anderen Bücher.
Danke ❤️
„Tschick“ kenne ich nur als Film, den mochte ich total. :) „Marianengraben“ fand ich ganz wundervoll. „Fast genial“ habe ich noch auf der Leseliste. In „Drice me crazy“ hatte ich mal reingehört, hat mich aber auch nicht so überzeugt. Und von Fitzek habe ich einfach genug. 🙈