Werbung: Herzlichen Dank an den C. H. Beck Verlag für das Rezensionsexemplar.
Mein erster Gedanke beim Anblick des Covers von „We Burn Daylight“: Endlich ein neuer Roman von Anthony Doerr! Sofort fühlte ich mich an das grandiose „Alles Licht, das wir nicht sehen“ erinnert. Das war es dann – offensichtlich – doch nicht, aber mein Interesse war dennoch geweckt. Denn in Bret Anthony Johnstons Roman geht es um die wahren Ereignisse, die sich während der Belagerung der Sekte „Branch Davidians“ zugetragen haben.
Ein Roman wie ein Flächenbrand
Er breitet sich leise aus, greift dann plötzlich um sich – und lässt einen bis zur letzten Seite nicht mehr los. „We Burn Daylight“ basiert auf den realen Ereignissen rund um die Belagerung der Sekte „Branch Davidians“, die sich 1993 in Waco, Texas zugetragen haben. Doch statt bloßer Fakten erzählt Bret Anthony Johnston eine zutiefst emotionale und psychologisch aufgeladene Geschichte.
Wir machten Pläne für eine glücklichere Zukunft. Derart unbedarft und naiv waren wir. So war Waco damals.
Seite 16
Im Mittelpunkt stehen zwei Teenager, Roy und Jaye – beide 14, beide klug, verletzlich und weit mehr als bloße Beobachter. Roy ist der Sohn des örtlichen Sheriffs, Jaye lebt mit ihrer Mutter in der Glaubensgemeinschaft eines charismatischen, gefährlichen Mannes, der sich selbst zum Messias erklärt hat. Zwischen den beiden entsteht eine leise, berührende Verbindung – zart und gleichzeitig voller emotionaler Wucht.
Das Versagen der Erwachsenen
Der Roman erzählt in abwechselnden Erzählstimmen von ihrer Annäherung, ihren Zweifeln, der eskalierenden Situation im Inneren der Sekte und von einer Welt, in der Erwachsene versagen und Kinder Entscheidungen treffen müssen, die weit über ihr Alter hinausgehen.
Die Ausfahrt, wo er rausmusste, nahm ich dann in ahnungsloser Dummheit, in widerstandsloser Ergebenheit, und steuerte uns beide jeweils einem Leben entgegen, das nur dazu bestimmt war, in Rauch aufzugehen.
Seite 222
Die beiden Erzählstimmen von Jaye und Roy werden immer wieder durch Interviews unterbrochen, die die Handlung weiter vorantreiben und weitere Aspekte der Geschichte beleuchten. Das bringt Spannung auf, ich lese gespannt, will wissen, wie es weitergeht – obwohl ich den Ausgang ja bereits kenne. Johnstons Sprache ist ganz klar, jeder Satz sitzt. Zwischen den Zeilen prickelt es, brodelt es und dann schmerzt es.
Atmosphäre der 90er Jahre
Besonders gelungen fand ich, wie der Autor die Atmosphäre der frühen 90er heraufbeschworen hat – in einer Zeit vor Handys, mit denen man überall und jederzeit erreichbar war. Vieles spielt sich im Ungewissen ab, im Warten, im Schweigen – und genau da liegt die Spannung. Roys Angst um Jaye, die sich plötzlich nicht mehr meldet, ist greifbar – sie wirkt wie ein Riss in der Realität. Ist sie tot? Ist sie geflüchtet? Will sie ihn vielleicht gar nicht mehr anrufen? Roy schwitzt Blut und Wasser, absolut nachvollziehbar.
Wahre Ereignisse
Die Handlung ist inspiriert von den tragischen Ereignissen rund um den Sektenführer David Koresh (wie Johnston im Nachwort betont, ist sein Perry nicht identisch mit David Koresh). Der Autor hat daraus weit mehr gemacht als eine dramatische Nacherzählung: einen literarischen Pageturner über Zugehörigkeit, Verblendung, Kontrolle – und eine erste Liebe, die unter furchtbaren Umständen entsteht.
„Manchmal muss man eine Herde ausdünnen“, heißt es auf Seite 299 – und mich fröstelt es. Denn das, was „We Burn Daylight“ offenlegt, ist die dunkle Seite des Glaubens.
Kleine Abstriche
Ein paar kleine Wermutstropfen bleiben: Das Ende wirkt in Teilen schwer greifbar, die finalen Handlungen der beiden Protagonisten erscheinen überzogen und waren für mich nicht ganz nachvollziehbar. Vielleicht ist das „normal in Texas“? Doch das schmälert die Wirkung, die dieser tolle Roman auf mich hatte, nur minimal.
«Die Geschichte ist bereits geschrieben und archiviert.» «Und wie hört sie auf?» «Wie alle Geschichten», sagte er und lachte düster. «Am Ende liegen alle unter der Erde.»
Seite 379
Fazit
„We Burn Daylight“ ist ein kluger, beklemmender und sprachlich herausragender Roman über Macht und Manipulation – und über eine junge Liebe, die sich in einer brennenden Welt behaupten will. Intensiv, traurig, hoffnungsvoll. Und absolut lesenswert – mit kleinen Abstrichen, was das Ende angeht.
We Burn Daylight von Bret Anthony Johnston.
Am 10.07.2025 im C. H. Beck Verlag erschienen.
Übersetzt aus dem Englischen von Sylvia Spatz.
ISBN: 978-3-406-83692-3 / 492 Seiten
We Burn Daylight kaufen bei:
2 Kommentare
Uh, also das Cover spricht mich an und inhaltlich klingt es auch spannend, aber sehr beklemmend, wie du schon sagst. Nichts für mich aktuell, aber „für irgendwann“ behalte ich es im Hinterkopf. :)
Das Cover finde ich auch wirklich toll! Und im Hinterkopf behalten finde ich super. ☺️ Ich kann mir gut vorstellen, dass dir der Roman gefällt.