Werbung: Herzlichen Dank an den Alfred Kröner Verlag für das Rezensionsexemplar.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich schon mal ein Buch gelesen habe, das in Singapur spielt. Der Klappentext von Zuckerbrot hat mich aber sofort angesprochen und ich bin froh, dass mich Balli Kaur Jaswal literarisch in den Stadtstaat nach Südostasien mitgenommen hat.
Zuckerbrot – worum geht es?
Das schummrige Chaos des Marktes, die zerstörte Haut ihrer schönen Mutter, Ram, die Frohnatur, der sich nichts sehnlicher wünscht, als seine beiden ›Damen‹ glücklich zu sehen, Jinis Küche, ein Sturm von Farben, Gerüchen, Geschmäckern – und Pin, die in den Gerichten ihrer Mutter liest und so dringend wissen will, warum sie nicht werden darf wie sie, aber keiner mag es ihr sagen. Sich dem Ungesagten zu nähern in einer klugen, bittersüßen Coming-of-Age-Story, erzählt von der 10jährigen Pin, die uns teilhaben lässt an ihren Kümmernissen, ihren Freuden und Kämpfen: als Stipendiatin an einer Eliteschule, als sichtbare Punjabi im multikulturellen Singapur, wo alles mit allem verschmilzt und doch nicht eins wird, als Mädchen in einer Jungenclique.
Klappentext
Klug und einfühlsam
Zuckerbrot beginnt aus der Sicht von Parveen, genannt Pin, einem 10-jährigen Mädchen, das in Singapur lebt. Wir begleiten sie in ihrem alltäglichen Leben, gehen mit ihr in die christliche Schule, für das sie ein Stipendium hat und blicken durch ihre Augen auf ihre Eltern. Sie liebt es, Fußball zu spielen, und sich Zahlen für ihren Vater Ram auszudenken, die er für die Lotterieteilnahme braucht. Denn Ram, der als Nachtportier arbeitet, träumt davon, endlich zu gewinnen, um seinen „beiden Damen“ etwas bieten zu können. Durch seine nächtliche Arbeit und den dadurch resultierenden Schlaf am Tag hat er wenig Zeit für seine Familie. Doch die Momente, in denen er anwesend ist, zeigt sich seine Liebe. Anrührend die Szenen, in denen er mit Pin zeichnet oder er ihr einen Herzenswunsch erfüllen möchte.
Ich fragte Ma, ob sie ihn deshalb geheiratet habe, weil er die Welt glücklich sehen wollte. Für mich hörte sich das wie ein guter Grund an, um jemanden zu heiraten.
Seite 117
Pins Mutter Jini lässt sich anfangs nicht in die Karten gucken. Einerseits erscheint sie liebevoll, andererseits ist deutlich spürbar, dass sie etwas belastet und gerät dadurch bisweilen etwas ruppig. Als leidenschaftliche Köchin drücken sich ihre Stimmungsschwankungen in ihren Gerichten aus. Das registriert auch Pin.
Ich war inzwischen geübter darin, von ihren Mahlzeiten ihre Stimmung abzulesen. Sie war nie sauer, wenn sie chinesische Gerichte kochte, weil die zu leicht waren. Weißer Reis und blassgelbe Nudeln wurden oft als stillschweigendes Friedensangebot eingesetzt. Malaiische Gerichte verbreiteten Wärme, geeignet für ein frühes Abendessen. Die indischen Gerichte mit ihren feurigen Rottönen und ihren intensiven Gewürzen waren es, die eine Warnung aussprachen. Sie sorgten dafür, dass ich den Atem anhielt und es mir genau überlegte, bevor ich etwas sagte.
Seite 73/74
Doch woher diese Schwankungen kommen, weiß Pin nicht – auch ihr Vater schweigt dazu, sagt immer nur, dass es nicht an ihm ist, die Geschichte seiner Frau zu erzählen. Verschärft wird die Situation, als Jinis Mutter plötzlich erkrankt und zu der Familie in die kleine Wohnung zieht. Die sehr religiöse Frau rät Pin mehr als einmal, nicht so zu werden, wie ihre Mutter. Pin ist ratlos und macht sich Sorgen um ihre Mutter. Und dann öffnet sich Jini auf einmal gegenüber ihrer Tochter und die Geschichte springt ins Jahr 1967, als Jini selbst ein Kind war. Langsam erfahren wir, welche schwere Last Jini seit vielen Jahren mit sich herumträgt.
Unaufgeregt und doch kraftvoll
Die bildliche, unaufgeregte und dennoch mitreißende Sprache Balli Kaur Jaswals hat mich sofort begeistert. Die Autorin versteht es ganz wunderbar, tolle Charaktere zu gestalten. Sowohl die sympathischen als auch die nicht ganz so sympathischen Menschen erschienen mir wie aus dem Leben gegriffen. Ich mochte Pin und ihre Eltern sehr gerne, hätte mich liebend gern zu ihnen an den Tisch gesetzt und mitgegessen – also, wirklich! Dieses Buch ist nämlich auch sehr appetitanregend. Fast auf jeder Seite wird gegessen, gekocht oder über das Essen geredet. Das Kochen ist ein wichtiger Bestandteil der Familie, verbindet und entzweit – und das titelgebende Zuckerbrot sorgt schließlich tatsächlich für eine wichtige Annäherung.
Das Ende – alles beim Alten und doch anders
Hervorheben möchte ich das gelungene Ende. Ein Jahr später endet Zuckerbrot genauso, wie es begonnen hat – mit einem Besuch von Mutter und Tochter auf dem Markt. Und obwohl sich an dem Marktbesuch nichts geändert hat, hat sich in der Beziehung der beiden sehr viel geändert und auch Pin ist nicht mehr die, die sie im letzten Sommer war. Sie weiß nun von der Vergangenheit ihrer Mutter und versteht sie. Sprecht miteinander, sagt Balli Kaur Jaswal, dann könnt ihr auch verstanden werden.
Der säuerliche, metallische Geschmack war verschwunden und etwas Süßerem gewichen. Es erfüllte meinen Mund und wärmte meine Kehle, als ich es hinunterschluckte. Es war ein neuer Geschmack, und er ließ sich nicht beschreiben, aber ich wusste, was er bedeutete: Zwischen Ma und mir gab es keine Geheimnisse mehr. Wir wussten alles, was wir wissen mussten.
Seite 318
Obwohl das gemächliche Tempo einem vorgaukeln will, dass nicht viel passiert, steckt so viel zwischen den Seiten. Ich habe eine Menge über das Miteinander (oder Gegeneinander) der unterschiedlichen Religionen und Nationalitäten in Singapur gelernt und war für knapp 350 Seiten Teil einer wunderbaren Familie. Ich empfehle das Buch deshalb allen, die eine schöne Familien- und Coming of Age-Geschichte lesen wollen. Aber lest es nicht, wenn ihr hungrig seid. ;-)
Fazit
Zuckerbrot ist ein bezaubernder Familienroman und eine Coming of Age-Geschichte mit einer sehr einnehmenden Protagonistin. Die kraftvolle, bildliche Sprache Balli Kaur Jaswals sorgt für einen großen Lesegenuss. Ein Buch, das mich begeistert und hungrig gemacht hat.
Zuckerbrot (OT: Sugarbread) von Balli Kaur Jaswal.
Am 01.03.2024 im Alfred Kröner Verlag erschienen.
Übersetzt von Gabriele Haefs.
ISBN: 978-3-520-62505-2 / 350 Seiten
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2 Kommentare
Hallo liebe Marie,
ich liebe das Kochen, ich liebe das Betrachten von gut gemachter Foodfotografie und ich könnte mir ewig auf Youtube Zubereitungsvideos ansehen :o) Du hast mich mit diesem Buchtipp also ziemlich schnell abgeholt. Und du hast scheinbar ein unglaubliches Talent Bücher mit einem besonderen Schreibstil herauszusuchen und diese Zitate, die du hier einstellst … perfekt gewählt!
Nach Stimmung zu kochen ist so eine tolle Eigenschaft. Ich würde sie mir am Liebsten zulegen oder/und gerne mehr Menschen kennen, die ihren Gefühlen auf diese Art Ausdruck verleihen <3
Und wieder einmal muss ich mich für deine Buchvorstellung bedanken. Dieses Buch wäre an mir, ohne diesen Beitrag, vorbeigegangen.
Ganz liebe Grüße
Tanja
Hallo liebe Tanja,
ich glaube, das Buch ist perfekt für dich! Es geht so viel um Essen. Zwar gibt es keine Fotografien, aber es ist alles so bildlich beschrieben – auch die Besuche auf dem Markt und im Tempel, wo gemeinsam gegessen wird – dass du es genau wie ich bestimmt genauestens vor dir siehst. Ein wunderbares Buch. ❤️
Ich freue mich, dass ich dir ein Buch empfehlen konnte. Tatsächlich hat mich eine Verlagsmitarbeiterin auf das Buch aufmerksam gemacht. Ohne sie hätte ich es wohl übersehen. Und das wäre sehr schade.
Liebe Grüße
Marie