Werbung: Herzlichen Dank an den dtv Verlag für das Rezensionsexemplar.
Das Weltall finde ich absolut faszinierend. Ich glaube, ich habe schon Stunden damit verbracht, mir die Übertragungen der ISS-Webcams anzusehen. Als ich auf den Roman Umlaufbahnen von Samantha Harvey aufmerksam wurde, dachte ich sofort: Das ist ein Buch für mich! Und das war es. Mehr noch, es gehört zu meinen Highlights in 2024.
Umlaufbahnen – worum geht es?
Sechs Astronauten und Astronautinnen aus unterschiedlichen Nationen umkreisen in einer Raumstation die Erde. Sechzehnmal an einem Tag sehen sie die Sonne auf- und wieder untergehen. Was passiert, wenn man seine Heimat nur aus weiter Ferne durch ein kleines Fenster sieht? Wie verändern sich Denken und Fühlen? In dem Zeitraum von nur einem Tag, während die Sonne sechzehnmal auf- und untergeht, betrachtet dieser ungewöhnliche, kraftvoll poetische Roman die großen und kleinen Fragen der Menschheit und bringt uns der Schönheit des Universums ganz nahe.
Klappentext
Klug und wunderschön
Samantha Harvey nimmt mich mit an einen ganz besonderen Ort, nämlich eine internationale Raumstation. Auf dieser treffe ich auf sechs Astronauten bzw. Kosmonauten aus Amerika, Japan, Großbritannien und Japan sowie Russland. Jeweils aus der Sicht eines der Protagonisten erlebe ich ihre Zeit im All.
So einsam sind sie in ihrem um die Erde kreisenden Raumschiff und gleichzeitig einander so nah, dass ihre Gedanken, ihre individuellen Mythologien, bisweilen zusammenfinden.
Seite 7
Schon mit diesem ersten Satz zieht mich die Autorin hinein in ihren klugen und wundervollen Roman, der mich mehr als einmal zum Taschentuch greifen lässt. Tief beeindruckt hat mich die Schönheit der Worte, die Samantha Harvey für ihr mit dem Booker Prize 2024 ausgezeichnetes Buch gewählt hat und die von Julia Wolf so grandios ins Deutsche übersetzt wurden.
Die poetische Sprache trägt mich durch das Buch und als wäre das nicht genug, verzaubert Harvey mit eindrucksvollen, sehr bildhaften Beschreibungen des Himmels, der unendlichen Weiten des Alls und den Aussichten auf die Erde. Das ist absolut faszinierend! Schon aufgrund der Schönheit der Sprache ist der Roman eine Empfehlung wert.
Die Lichter von Sala am Arabischen Meer, ein aufgeladener Schrei in der weich wirbelnden Wüste, und eine Minute früher hätten Abu Dhabi, Doha, Maskat wie Juwelen auf dem nun folgenden Küstenstreifen gesessen, doch die Nacht ist vorüber – einmal mehr geht die Sonne auf, und silberne Spieße durchstechen die Dunkelheit. Seit die Crew im All ist, hat es Tausende von Sonnenaufgängen gegeben, Hunderte davon haben sie verfolgt, und wenn sie jetzt wach wären, würden sie von ihren Schlafquartieren ans Fenster schwimmen und einen weiteren beobachten. Sie verstehen nicht, wie sich der Anblick endlos wiederholen und gleichzeitig jedes Mal, jedes einzelne Mal, neu geboren werden kann.
Seite 206
Politische Konflikte
Doch in erster Linie geht es um die Menschen an Bord der Raumstation. Einem Ort, der so weit von der Erde entfernt ist, und der dennoch nicht frei von politischen Differenzen ist. Das zeigt sich recht absurd anhand der Regeln zur Toilettennutzung.
NUR FÜR RUSSISCHE KOSMONAUTEN steht an der Tür des russischen WCs. Und entsprechend auf der Tür der US-amerikanischen Toiletten: NUR FÜR AMERIKANISCHE, EUROPÄISCHE UND JAPANISCHE ASTRONAUTEN. Bitte benutzen Sie aufgrund der andauernden politischen Auseinandersetzungen ihre eigene nationale Toilette.
Seite 105
Den Menschen an Bord ist das gleichgültig. Sie wissen, dass sie miteinander arbeiten und sich aufeinander verlassen müssen. Darum gilt für sie: „Aus welchem Land sie auch stammen und wie groß die Konflikte zwischen ihren Nationen sind, die subtile Macht ihres Raumschiffs macht sie hier oben alle gleich.“ (Seite 36).
Komplexe Gedankengänge
Als Leserin folge ich den Gedanken der Astronauten, die selten trivial („Warum kann ein Raumschiff nicht wie ein altes Bauernhaus eingerichtet sein?“ (Seite 29) und oft existenziell sind.
Was zur Hölle mache ich hier, in einer Blechbüchse im luftleeren Raum? Ein konservierter Mann in einer Konservendose. Zehn Zentimeter Titan trennen ihn vom Tod. Nicht einfach vom Tod, sondern von der Auslöschung, der völligen Nichtexistenz.
Seite 83
Das berührt und macht nachdenklich. Ich werde Zeuge ihrer inneren Konflikte, komplexen Gedanken und Emotionen, schwelge mit ihnen in Erinnerungen und fühle ihre Verluste. So erfährt z. B. eine Astronautin, dass ihre Mutter gestorben ist. Ihr Schmerz ist groß, vor allem, da es ihr natürlich nicht möglich ist, kurz mal nach Hause zu fahren, um Abschied zu nehmen. Ein weiterer Astronaut denkt an einen Fischer, den er einst kennengelernt hat und dessen Leben und Existenz nun von einem aufkommenden Taifun bedroht wird. Er kann den Wirbelsturm von der Raumstation sehen, erlebt mit, wie er immer größere Ausmaße nimmt und kann nicht mehr tun, als für seinen Freund zu beten.
Wie schreiben wir die Zukunft der Menschheit? Wir schreiben gar nichts, sie schreibt uns. Wir sind vom Wind aufgewirbeltes Laub. Wir denken, wir wären der Wind, aber wir sind nur die Blätter.
Seite 174
Kein Zimmer für sich allein
Neben den bewegenden Gedanken erlebe ich auch die Einsamkeit der Astronauten. Denn trotz allem sind es doch sechs fremde Menschen, die monatelang auf engstem Raum zusammenleben und die keine Rückzugsmöglichkeiten haben. Nur winzige Schlafplätze (hängende Schlafsäcke) können sie ihr Eigen nennen. Intimsphäre gibt es wenig, außerdem werden sie bzw. ihre Arbeit ständig mit Kameras überwacht. Sie vermissen ihre Liebsten und dennoch wollen sie nirgendwo anders sein als im All.
Samantha Harvey erzählt davon, unaufdringlich, leise und sehr glaubwürdig. Umlaufbahnen ist kein Science-Fiction-Roman, die Autorin hat für ihr Buch akribisch recherchiert und das merkt man ihm auch an. Ein außergewöhnliches Buch.
Fazit
Mit Umlaufbahnen hat Samantha Harvey einen absolut wundervollen, fesselnden Roman geschaffen, der durch seine wunderschöne Sprache, den unglaublich tollen Beschreibungen des Alls und den Gedankengängen der Astronauten besticht. Ein Highlight und eine uneingeschränkte Empfehlung für alle, die ruhige Geschichten lieben. Ein brillanter Roman.
Umlaufbahnen (OT: Orbital) von Samantha Harvey.
Am 14.11.2024 bei dtv erschienen.
Aus dem Englischen übersetzt von Julia Wolf.
ISBN: 978-3-423-28423-3 / 224 Seiten
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4 Kommentare
Ich habe es angelesen, aber es hat mich nicht gekriegt. Wobei ich dazusagen muss, dass ich generell nicht übermäßig im All-Fieber bin (deshalb hat es mich so überrascht, dass mich Andy Weir begeistert hat). Trotzdem: Klingt super bei dir. Ich mag deine Zitat-Auswahl immer sehr. :)
Ich denke auch, dass man All-begeistert sein muss. 😊 Ansonsten geht’s mir wie dir: Manchmal lese ich Rezension zu Büchern, die mir nicht so gefallen haben und denke „das will ich auch lesen“ 😄
Lieben Dank! Freut mich, wenn dir die Zitate gefallen. 🥰
Hallo liebe Marie,
wow! Ich muss sagen, dass ich immer wieder überrascht bin, wie du es schaffst, mir Bücher näherzubringen, die ich so gar nicht auf dem Schirm hatte und die eigentlich auch gar nicht in mein übliches Leseschema passen.
Ich liebe es deine Rezensionen zu lesen. Dir gelingt es immer ein richtig gutes Bild von der Geschichte zu zeichnen und mit deinen Worten etwas in mir zu bewegen.
Das Thema Raumfahrt hat mich, zugegebenermaßen, im ersten Moment gar nicht angesprochen. Doch dann hast du berichtet, von den Gedanken der Charakteren, von dem wundervollen Schreibstil und du hast mich gekriegt …!
Richtig neugierig hast du mich auch auf die politischen Konflikte (wie das Thema mit den Toiletten) gemacht. Diese Zeilen habe ich mit großem Interesse gelesen.
Eine richtig schöne Buchvorstellung von dir. Ich danke dir für diese tolle Rezension <3
Ganz liebe Grüße
Tanja :o)
Bei deinem Kommentar werde ich ja rot, liebe Tanja. Ich freue mich sehr, dass ich dich überzeugen konnte, obwohl dich das Buch eigentlich gar nicht anspricht. Das macht mich glücklich. Das Buch verdient es auch wirklich. Ein wirklich wundervolles Buch.
Das Thema politische Konflikte ist allerdings nicht so groß, da nehmen andere Themen mehr Raum ein. Trotzdem kann ich dir „Umlaufbahnen“ nur empfehlen.
Liebe Grüße
Marie