Werbung: Herzlichen Dank an die Fischer Verlage für das Rezensionsexemplar.
Es gibt Bücher, die ziehen mich ab der ersten Seite in ihren Bann – und genau so ein Buch ist „Wenn unsere Welt kippt“ von Jandy Nelson. Ich bin absolut begeistert und verzaubert.
Drei Geschwister – und ein geheimnisvolles Mädchen
Wohlbekannte Tatsache: Das Leben ist eine nasse Socke, die man nicht ausziehen kann.
Seite 253
„Wenn unsere Welt kippt“ führt mich nach Paradise Springs, eine heiße Kleinstadt in Kaliforniens Weinregion. Hier treffe ich auf die 12-jährige Dizzy Fall sowie ihre Brüder Miles (17) und Wynton (19). Die drei könnten kaum unterschiedlicher sein – und doch sind sie durch unsichtbare Fäden aus Schmerz und Liebe verbunden. Dizzy sieht Geister, Miles spricht mit einem Hund namens Sandro, und Wynton weint, wenn er Geige spielt. Nach und nach entfaltet sich, warum.
Wenn Menschen die Traumata ihrer Vorfahren in sich tragen, ergibt sich daraus nicht, dass das auch für ihre Glückseligkeiten gilt? Wenn der Schmerz von Generation zu Generation weitergetragen wird, gilt das dann nicht auch für Freude und Wonne? Wenn ein Fluch eine Familie für alle Zeiten verfolgt, gilt das dann nicht auch für die Segnungen, die ihnen zuteil werden?
Seite 306
Und dann ist da Cassidy, der Engel mit dem regenbogenfarbenen Haar (sagt Dizzy). Sie ist gekommen, um die Wunden der Fall-Familie zu heilen. Sie ist die magische Kraft, die alles zusammenhält, doch sie trägt ihre eigenen Geheimnisse.
Kaleidoskop der Gefühle
Jandy Nelson erzählt die Geschichte aus wechselnden Perspektiven – mal Dizzy, mal Miles, mal Wynton, mal Cassidy. Eine großartige Entscheidung, denn so entfalten sich Tiefe und Komplexität dieser Figuren auf ganz natürliche Weise und machen sie nahbar. Briefe, Tagebucheinträge und kleine Dokumente verleihen der Geschichte eine authentische, berührende Struktur. Ich konnte mich in jeden Charakter einfühlen, spürte Sehnsucht, Verzweiflung, Liebe – und ja, manchmal auch Hoffnung. Kleiner Hinweis: Ein Taschentuch parat zu haben, ist keine schlechte Idee.
Magisch, emotional, unvergesslich
Die Themen sind vielschichtig: Verlust, Schuld, Identitätssuche, Außenseitertum, sexuelle Orientierung, seelische Belastungen. All das erzählt Nelson mit Einfühlungsvermögen, Wärme und einer Prise Magie. Angereichert wird das Ganze durch wohldosierten Humor. Besonders die „Gespräche“ zwischen Miles und dem Hund Sandro haben mich oft zum Schmunzeln gebracht.
Klar, natürlich hätte er gerne schwebende gespensterhafte Vorfahren, die schwul waren. Mal im Ernst, wer nicht? Zu schade, dass er nicht an Geister glaubte.
Seite 410
Trotz Tragik und Schmerz (und davon gibt es jede Menge) bleibt das Buch hoffnungsvoll – fast märchenhaft in seiner Erzählweise.

Sprache & Stil
Jandy Nelsons Stil ist poetisch, flüssig und ehrlich. Sie versteht es, Emotionen lebendig zu machen – vielleicht hier und da nicht ganz ohne Kitsch, aber von der Sorte, die das Herz wärmt.
»Ich bin das Gegenteil«, sagte Felix. »Ich will Teil von allem sein. Wenn ich ein Buch lese oder einen Film gucke, ziehe ich da ein.« Da musste Miles aber alles aufbringen, um sich nicht auf der Stelle zu verlieben.
Seite 365
Sie passt ihre Sprache den Jugendlichen an, was manchmal (gerade bei Miles) auch sehr sexuell wird. Hier hat es mich aber nicht gestört, da es eben zu einem 17-jährigen Jungen, der gerade seine Sexualität entdeckt, gut passt. Das Buch glänzt mit magischem Realismus, der mich absolut begeistert hat. Und wem das nicht ganz so gefällt, der dürfte sich mit den Erklärungen am Schluss wohl fühlen.
Sie passt ihre Sprache den Jugendlichen an, was teils auch sehr körperlich wird, mich aber (wie meistens) nicht weiter gestört hat. Der magische Realismus funkelt von jeder Seite. Wer ihn nicht mag, wird durch die Auflösung am Ende versöhnt.
»Nemophilist«, sagte sie zu Miles. »Jemand, der Wälder oder Waldlandschaften liebt; ein Waldliebhaber. Aus dem Altgriechischen. Ein Wahnsinnswort, stimmt’s?« »Stimmt«, sagte Miles und wollte vor Glück sterben, weil er dieses Wort gelernt hatte.
Seite 90
Die Handlung ist reich an Wendungen – tragisch, berührend, witzig – und endet mit einem hoffnungsvollen, zutiefst befriedigenden Abschluss. Und ja, ich habe geweint.
Fazit
Hach, was für ein umwerfendes Buch! „Wenn unsere Welt kippt“ ist ein literarisches Feuerwerk und ein Jugendroman, der weit über sein Genre hinaus strahlt. Ein Buch für alle (ab 14 Jahren), die emotionale, facettenreiche, queere Familiensagas lieben, in denen Magie und Realität verschmelzen. Ich habe jede Zeile geliebt und sage: unbedingt lesen!
Wenn unsere Welt kippt (OT: When The World Tips Over )
von Jandy Nelson.
Am 24.09.2025 bei Fischer Sauerländer erschienen.
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Barbara König.
ISBN: 978-3-7373-4415-9 / 640 Seiten
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