Werbung: Herzlichen Dank an den Galiani Verlag für das Rezensionsexemplar.
Seit ich „Sommer bei Nacht“ von Jan Costin Wagner gelesen habe, bin ich begeistert von diesem Autor. Er versteht es meisterhaft, in kurzen, klaren Sätzen alles auf den Punkt zu bringen. Mit „Eden“ hat er zwar keinen weiteren Teil der großartigen Ben-Neven-Reihe vorgelegt, dafür aber einen Roman, dessen Thema mich sofort interessiert hat.
Eine Familie zerbricht
„Eden“ erzählt die berührende und bedrückend aktuelle Geschichte einer Familie, die durch einen einzigen schrecklichen Moment aus der Bahn geworfen wird.
Worte sind niemals nur Worte.
Seite 96
Markus schenkt seiner zwölfjährigen Tochter Sofie Karten für das Konzert ihrer Lieblingssängerin. Am Ende des Abends kommt es zu einem Anschlag – Sofie stirbt. Markus und Sofies Mutter Kerstin gehen auf ihre ganz eigene Weise mit dem Verlust um. Ihre unterschiedlichen Wege stellen die Ehe vor eine Zerreißprobe. Schließlich wagt Markus einen radikal mutigen Schritt: Er sucht die Annäherung an die Familie des Attentäters.
Ich hasse deinen Hass, denkt er.
Seite 282
Mehrere Perspektiven
Was „Eden“ so besonders macht, ist das facettenreiche Erzählen. Neben Markus und Kerstin treten wir auch in die Welt von Sofies Freund Tobi ein, der selbst unter schwierigen Umständen aufwächst – mit einem Vater, der sich immer weiter von Familie und Gesellschaft abkoppelt, und einer psychisch kranken Mutter. Tobi reflektiert manchmal weit mehr, als es die Erwachsenen tun und ist für sein Alter erstaunlich stark. Auch der Attentäter und seine Angehörigen kommen zu Wort. Ohne Wertung – die Figuren stehen für sich selbst und es ist an uns, uns über das Geschehen Gedanken zu machen.
Jan Costin Wagner gelingt es, alle Figuren differenziert zu zeichnen – es gibt kein Schwarz oder Weiß, keine einfachen Wahrheiten. Der Autor beschreibt Menschen, die von Trauer zerrissen sind, deren Schmerz filterlos, ehrlich und manchmal einfach ohne Sprache ist. Gleichzeitig erzählt er aber auch von Menschen, die danach streben, das Geschehene zu verstehen und dabei besondere Wege gehen.
Es ist gut, dass die Liebe da ist, auch wenn sie das einzige Problem ist. Der Hass kann die Liebe nicht beseitigen, er kann sie nur in Trauer und in bittere, schöne Erinnerungen verwandeln und damit zum schärfsten Schwert machen, das es gibt.
Seite 130
Nähe zum Schmerz
Besonders Markus’ Entscheidung, den Kontakt zur Täterfamilie zu suchen, hat mich bewegt. Dieser Schritt ist unbequem, schmerzhaft – und zugleich eine Einladung, neu über Trauer nachzudenken. Trauer bedeutet nicht nur Rückzug. Manchmal bedeutet sie auch, in eine Richtung zu gehen, die andere niemals wagen würden. Eine Bewegung hin zu etwas Menschlichem, wo andere nur Abgrenzung sehen. Versöhnung? Wohl nicht. Aber doch „etwas“. Das hat mich lange beschäftigt.
Trauer, Verlust und mehr
„Eden“ ist ein tiefgründiges Buch über Trauer und Verlust, aber auch politische Instrumentalisierung und gesellschaftliche Spaltung. Ich bin zutiefst beeindruckt, wie Jan Costin Wagner es schafft, diese Themen in einer so zarten und gleichzeitig so spannenden Form zu behandeln. Er konfrontiert seine Leser mit unbequemen Wahrheiten, schafft es aber gleichzeitig, Momente der Hoffnung einzubauen. Er schafft Empathie für seine Figuren, ohne dabei den Schrecken der Tat zu relativieren.
»… am Ende sind es Menschen, die Menschen das Schlimmste antun.«
Seite 167
Sätze, die bleiben
Der Roman ist leise und laut zugleich – und gerade dieser Kontrast macht ihn so eindringlich. Jeder Satz sitzt, jeder Bruch wirkt. Wagners minimalistische Sprache hat eine ungeheure Kraft, die mich beim Lesen immer wieder innehalten ließ. Viele Sätze habe ich mehrfach gelesen, notiert, nachklingen lassen.
„Eden“ ist bereits das vierte Buch, das ich von Jan Costin Wagner gelesen habe und abermals hat er mich restlos begeistert. Dieser Autor gehört zu meinen Favoriten, und ich freue mich auf alles, was da noch kommt.
Fazit
„Eden“ ist ein fordernder und zugleich wunderschöner Roman. Er konfrontiert uns mit dem tiefen Schmerz, den der Tod eines geliebten Menschen mit sich bringt. Gleichzeitig lotet er Themen wie politische Instrumentalisierung und gesellschaftliche Spaltung aus. Ein Buch, das mitten ins Heute spricht und mit seiner Intensität lange nachwirkt. Für mich eine klare Leseempfehlung!
Eden von Jan Costin Wagner.
Am 18.03.2025 im Galiani Verlag erschienen.
ISBN: 978-3-7558-0028-6 / 224 Seiten
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2 Kommentare
Liebe Marie,
ich hatte bei deinen Worten im Kommentar auf meinem Blog irgendwie ein anderes Cover im Blick. Dieses Buch sagte mir tatsächlich noch gar nichts. Ich danke dir, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast.
Deine Rezension merkt man schnell an, warum diese Geschichte für dich etwas Besonderes war/ist. Ich muss sagen, dass ich beim Lesen deiner Worte richtig Lust bekommen habe, selbst zum Buch zu greifen. Erst dachte ich noch: Das ist mir aktuell zu düster. Dann habe ich gedacht: Wow! Da stecken so viele Botschaften drin. Ich verstehe gut, dass du hier stark ins Grübeln geraten bist. Gerade, was Trauer betrifft, gibt die Gesellschaft ja oft eine klare Richtlinie vor, die sich in den Köpfen dann auch schnell festsetzt.
Ich glaube, ich hätte im ersten Moment auch nicht darüber nachgedacht, den Kontakt zum Täter zu suchen. Aber es heißt ja nicht umsonst: Veränderungen sind wichtig. Vielleicht kann gerade dieser Schritt helfen die Trauer irgendwie in andere Bahnen zu lenken. Du hast mich wirklich neugierig gemacht, wie der Autor seine Geschichte hier weiterführt.
Auch finde ich es sehr spannend, welche Perspektiven man als Leser präsentiert bekommt. Dass es hier kein reines „Schwarz-Weiß“ – Denken gibt, spricht für die Qualität der Geschichte.
Mit der Auswahl deiner Zitate hast du mich, darüber hinaus, auch total abgeholt. Eine sehr gelungene Auswahl.
Vielen Dank für diese wirklich gut geschriebene und informative Rezension.
Ganz liebe Grüße
Tanja :o)
Ganz herzlichen Dank für deinen ausführlichen Kommentar, liebe Tanja! ❤️ Es freut mich sehr, dass dich meine Rezension anspricht. Ich kann dieses Buch so sehr empfehlen – wie ja auch deutlich wurde.
Hoffentlich gefällt es dir genauso sehr wie mir!
Liebe Grüße
Marie