Werbung: Herzlichen Dank an den Penguin Verlag für das Rezensionsexemplar.
Ich liebe Zeitreise-Geschichten – dieses Gedankenspiel, wann man reisen würde und warum, fasziniert mich immer wieder. Da war es klar, dass ich unbedingt Das Ministerium der Zeit von Kaliane Bradley lesen musste.
Zeitreise trifft Gegenwart
Was wäre, wenn man Menschen aus der Vergangenheit in unsere Gegenwart holen könnte?
Genau das passiert im Ministerium der Zeit, einer geheimen britischen Regierungsabteilung, die historische Persönlichkeiten aus scheinbar ausweglosen Situationen ins heutige London „importiert“. Sie werden betreut – oder eher: überwacht – und von sogenannten „Brücken“ begleitet, die ihnen beim Ankommen in der Moderne helfen sollen.
Die namenlose Ich-Erzählerin übernimmt diese Aufgabe für den viktorianischen Polarforscher Commander Graham Gore, der auf einer realen Figur basiert: Gore verschwand 1847 während der Franklin-Expedition. Für eine Zeitlang wohnen die beiden zusammen, und die Geschichte folgt ihrer Annäherung – mal komisch, mal nachdenklich, mal (explizit) körperlich –, während das Ministerium eigene, zunehmend bedrohliche Ziele verfolgt.
Starke Prämisse, etwas schwache Umsetzung
Die Grundidee fand ich reizvoll: Was passiert, wenn Menschen aus anderen Epochen plötzlich mit Smartphone, einer Toilettenspülung oder Spotify konfrontiert werden? Und wie würden wir selbst in einem anderen Zeitalter bestehen? Leider verlieren diese für mich sehr spannenden Aspekte im weiteren Verlauf an Gewicht. Die Herausforderungen, die das Ankommen in der Gegenwart mit sich bringt, werden mehr angedeutet, statt sie wirklich auszuloten. Stattdessen rückt die Handlung zunehmend die Beziehung zwischen der Protagonistin und Graham Gore in den Mittelpunkt – ebenso wie interne Machtspiele im Ministerium, verschwundene Agenten und eine drohende Eskalation.
Unpassender Sprachwitz
Der Ton des Romans ist mal nüchtern, mal witzig. Die Figuren wirken glaubwürdig, besonders Graham Gore hat mir gut gefallen. Dennoch: Seine plötzlichen Modernitätsflirts – inklusive Sprachwitz – passten für mich nicht ganz ins Bild. Einerseits versteht er bestimmte Begriffe nicht, was aufgrund seines „Alters“ ja verständlich ist, andererseits liefert er dann humorvolle Kommentare, die nicht recht zu seiner vorherigen Ahnungslosigkeit passen.

Atmosphäre & Spannung
Besonders gelungen fand ich die Rückblenden zur Franklin-Expedition. Sie bringen Atmosphäre, Tiefe und historische Dichte in die Geschichte – ich war beim Lesen emotional sehr nah dran. Auch die Frage, ob das Zeitreiseportal ein wissenschaftliches Experiment oder eine potenzielle Waffe ist, bringt Spannung ins letzte Drittel.
Was nicht ganz überzeugt
Der Roman wirkt stellenweise unausgewogen. Manche Entwicklungen wirken unentschlossen und einige Begriffe etwas irritierend, wie z. B. „Expats“ für die Zeitreisenden. Die expliziten Szenen hätten für mich nicht sein müssen – sie wirkten leicht aufgesetzt und wenig relevant für die Handlung. Aber das ist ja wie immer Geschmacksache. Zudem kam mir das Ende ein wenig gehetzt vor.
Fazit
Das Ministerium der Zeit ist ein teils atmosphärischer, teils langatmiger Roman mit einer faszinierenden Grundidee. Wer temporeiche Sci-Fi oder eine tiefgehende Zeitreise-Geschichte erwartet, könnte enttäuscht werden. Wer sich aber auf eine ruhige, eigenwillige Geschichte mit historischem Einschlag einlassen möchte, findet hier durchaus die passende Lektüre.
Das Ministerium der Zeit (OT: The Ministry of Time)
von Kaliane Bradley.
Am 23.04.2025 im Penguin Verlag erschienen.
Übersetzt aus dem Englischen von Sophie Zeitz.
ISBN: 978-3-328-60353-5 / 384 Seiten
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2 Kommentare
Zeitreise-Geschichten sind generell nicht so mein Ding, aber hier klingt die Idee ganz interessant, weil man/die Hauptfigur nicht selbst durch die Zeit reist, sondern man Verstorbene zu sich holt. Schade, dass das dann nicht überzeugend eingearbeitet wurde. Mich hätten eben auch die von dir angesprochenen „Herausforderungen, die das Ankommen in der Gegenwart mit sich bringt“ gereizt. Und deine anderen Kritikpunkte hätten mich vermutlich auch gestört.
Danke für diesen ehrlichen Einblick, liebe Marie.
Sehr gerne! ❤️ Das Buch hat aber auch sehr gute Rezensionen. Vielleicht wagst du mal einen Blick. ☺️