Als ich die Inhaltsangabe zu Der Atem einer anderen Welt gelesen habe, war ich sofort Feuer und Flamme.
Kinder und Jugendliche sind zu allen Zeiten in Kaninchenlöcher gefallen, durch alte Kleiderschränke ins Zauberland vorgestoßen oder auf einer Dampflok in magische Welten gereist. Aber … was geschieht eigentlich mit denen, die zurückkommen?
Klappentext
Schon diese ersten Sätze haben mich angesprochen und sehr neugierig auf das Buch gemacht. Was ich bekommen habe, war dann aber doch etwas Anderes. Erwartet hatte ich magische Fantasy, aber nicht so düster, wie sich Der Atem einer anderen Welt dann präsentiert hat. Das meine ich aber nicht negativ.
Worum geht’s?
Zur Handlung möchte ich nicht viel sagen. Es geht genau um das, was die zwei Sätze der Inhaltsangabe vermuten lassen. Kinder, die in fremden Welten waren und aus ihnen (unfreiwillig) zurückgekehrt sind. Viele der Kinder wollen nur eins, nämlich wieder zurück in die „Märchenwelt“. Doch wo und wann sich die Türen zu den anderen Welten erneut öffnen, weiß niemand und so finden sich diese Kinder, die sich in der „realen“ Welt nicht mehr zurecht finden, in „Eleanor Wests Haus für Kinder auf Abwegen“ wieder.
Düsteres Märchen
Eine sehr spannende Ausgangsposition. Autorin Seanan McGuire erzählt von Kindern, die sich fehl am Platz fühlen und einen Ausweg suchen – und das mit teils sehr drastischen Mitteln. Hier verweise ich nochmal darauf, dass Der Atem einer anderen Welt keine fluffige Fantasy ist. Es wird zum Teil blutig und gruselig. Ich würde es mit Hazel Wood von Melissa Albert vergleichen.
Tatsächlich mag ich es sehr, wenn Geschichten ins Düstere abgleiten. In Der Atem einer anderen Welt wird dies auch durch die wunderschöne, manchmal gar poetische Sprache untermalt.
Ihre Haare waren knochenweiß, mit schwarzen Schlieren durchzogen, wie von auf Marmorboden vergossenem Öl, und ihre Augen waren fahl wie Eis.
Seite 14
Umso verwunderter war ich, dass der Stil nicht beibehalten wurde und ich deshalb auch auf Sätze wie
Ihre Arbeiten würden sie nie zur Stardesignerin eines modebewussten Vampirhofs machen.
Seite 256
gestoßen bin. Für mich passen diese Sätze nicht zusammen. Da ich erst während des Lesens festgestellt habe, dass Der Atem einer anderen Welt kein fortlaufender Roman ist, sondern aus Kurzgeschichten besteht, kam mir die Vermutung, dass die Autorin die einzelnen Erzählungen womöglich mit einigem Abstand zueinander geschrieben und sich deshalb der Stil ein wenig geändert hat.
Ungünstige Reihenfolge
Etwas merkwürdig finde ich die Reihenfolge der Geschichten. So ist mir unklar, wieso Jack und Jills Abenteuer (das übrigens zu viel Zeit mit einer Vorgeschichte verplempert) an die zweite Stelle gesetzt wurde, obwohl das Ende bereits in der ersten Erzählung verraten wird. Das hat mich sehr gestört, weil ich es absolut hasse, schon vorher zu wissen, wie die Geschichte ausgeht. (Ausnahmen bestätigen die Regel.) Vielleicht war es ja auch die Idee der Autorin, dass man Der Atem einer anderen Welt nicht linear liest. Allerdings gehöre ich eben zu den Lesern, die das Buch vorne beginnen und ohne hin und her zu springen bis zum Ende lesen. (Und niemals würde ich das Ende zuerst lesen!)
Empfehlung mit kleinen Abstrichen
Klingt das bisher eher negativ? Ich hoffe nicht, denn trotz der (wenigen) negativen Aspekte ist Der Atem einer anderen Welt ein wunderbares Buch, das fast durchweg durch seinen sehr schönen Stil beeindruckt. Vereinzelt tauchen in den Geschichten schwarz-weiß Illustrationen auf, die das Geschriebene (und teilweise das Düstere) untermalen und mir sehr gefallen. Wie erwähnt wird es manchmal gruselig/blutig. Das Buch ist also eher nichts für jüngere Leser.
Fazit
Der Atem einer anderen Welt beinhaltet düster-magische Geschichten, die vor allem durch ihre wunderbare Sprache bezaubern. Der teilweise veränderte Ton und die nicht ganz schlüssige Reihenfolge der Geschichten minimieren den Lesegenuss nur minimal. Insgesamt empfehle ich Seanan McGuires Buch gerne weiter.
Diese Rezension erschien zuerst auf lovelybooks.de. Für meinen Blog habe ich sie überarbeitet.
Der Atem einer anderen Welt (OT: Every Heart a Doorway) von Seanan McGuire
am 23.01.2019 bei Fischer Tor erschienen.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ilse Layer.
ISBN: 978-3-596-29884-6/ 464 Seiten
4 Kommentare
Hallo Marie, „wunderbare Sprache“ klingt zauberhaft. Denn die ist für mich beim Lesen immer sehr entscheidend. Aber auch insgesamt klingt das nach einer interessanten Geschichte. Das Cover finde ich auch sehr hübsch! Danke an dieser Stelle für deine lieben Kommentare auf meinem Blog!
Zeilentänzerin
Sehr gerne! Ich freue mich auch immer über deine Kommentare. ❤️
Hallo liebe Marie,
ich muss sagen, dass ich tatsächlich durch die Aufzählung der Kritikpunkte nicht schlüssig war, ob das ein Buch nach meinem Geschmack sein könnte. Deine Anschlussworte, dass es sich über die Kritikpunkte hinaus um ein sehr empfehlenswertes Buch handelt, waren also sehr wertvoll und motivieren, das Buch doch nicht aus der Sicht zu verlieren.
Ich würde ein Buch auch nicht quer, sondern definitiv von vorne nach hinten lesen. Auch bei Kurzgeschichten wäre das vermutlich nicht anders.
Anhand deines Beispiels konnte ich sehr gut verstehen, was du mit der Kritik am Schreibstil vermitteln möchtest. Diese Sätze würden für mich auch nicht unbedingt zusammenpassen. Schade, dass der Stil hier nicht einheitlich durchgezogen wurde.
Ich danke dir für diese ehrliche und hilfreiche Rezension und wünsche dir einen schönen Start in dein Wochenende.
Ganz liebe Grüße
Tanja :o)
Hallo Tanja,
vielen Dank für deine lieben Worte.
Genau, insgesamt ist es auf jeden Fall empfehlenswert. Wenn mir negative Punkte auffallen, möchte ich das auch anmerken. Ich finde zwar auch Lobeshymnen toll, aber so viele perfekte Bücher gibt es ja auch nicht. :)
Liebe Grüße und ein tolles Wochenende!
Marie