Werbung: Herzlichen Dank an den Unionsverlag für das Rezensionsexemplar.
Wo der Wind wohnt von Samar Yazbek führt mich nach Syrien und damit in ein Land, das ich bisher weder in der Realität noch literarisch besucht habe.
Wo der Wind wohnt – worum geht es?
Alis Militärposten ist von einer verirrten Granate getroffen worden. Der junge Mann liegt schwer verletzt und verlassen auf einem Berggipfel. Er versucht sich in die Geborgenheit eines Baumes zu retten, dabei wandern seine Gedanken von den kleinen zu den großen Dingen.
Das andere Auge spürt er nicht. Ob er überhaupt noch lebt? Vielleicht! Hat noch einen Körper? Wo ist er, dieser Körper? Sein Gefühl für sein eigenes Ich reicht nicht weiter als bis zu dem fahlen Licht, das von schwarzen Linien durchbrochen wird.
Seite 5
Kraftvoll und poetisch
Wo der Wind wohnt ist ein leises, kraftvolles und poetisches Buch. Der durch eine Granate verwundete Soldat Ali liegt auf dem Berggipfel, schaut in den Himmel, wo sich die Wolken zu merkwürdigen Gebilden formen, die Alis Fantasie beflügeln und ihn an die unterschiedlichsten Dinge denken lassen. Er denkt an sein Heimatdorf, den Tod seines Bruders, seine Mutter Nahla und seine Ziehmutter, die Humairuna genannt wird und von den anderen Dorfbewohnern für verrückt gehalten wird.
Er hängt irgendwo zwischen Leben und Tod, oder zwischen Tod und Leben. Gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen diesen beiden Formulierungen?
Seite 47
Eindringlich und berührend schreibt Samar Yazbek über den Krieg in Syrien, beschreibt die schmerzhafte Realität in dem zerrütteten Land. Immer wieder laufen die Bewohner aus Alis Dorf zum Märtyrerfriedhof, auf dem erneut ein getöteter Soldat beerdigt wird. Es darf nicht geklagt werden. Im Gegenteil. Den Frauen wird befohlen, „Jubeltriller auszustoßen, denn die Beerdigung gleiche einer Heirat mit der Heimat“ (Zitat Seite 22). Bewegenden Szenen ereignen sich am Grab, wenn die Mutter nicht am Sarg ihres Sohnes Abschied nehmen darf. Denn nur Männer dürfen ans Grab und Abschied nehmen.
Träume, die man als brechendes Licht zwischen tanzenden Blättern beschreiben kann, sind für Ali schlicht das, was andere als »Zuhause« bezeichnen: ein Ort, an dem man beruhigt und zufrieden die Augen schließt.
Seite 127
Schönheit und Schmerz
Die Autorin bringt mir ein Land nahe, mit dem ich mich bisher nicht beschäftigt habe. Junge Männer werden einfach von der Straße geholt, um als Soldaten für ihr Land zu dienen, Staatsdiener verprügeln Schulkinder und Männer und Frauen, die weder lesen noch schreiben können (oder nur rudimentär) versuchen sich und ihre (vielen) Kinder am Leben zu erhalten. Die Worte, die Samar Yazbek für diese Einblicke verwendet, sind sehr poetisch. Es liest sich teilweise märchenhaft, wenn auch wie ein düsteres Märchen. Yazbek geht nicht nur auf den Krieg ein, sondern auch die inneren Kämpfe der Menschen, die versuchen, inmitten von Chaos und Zerstörung einen Sinn zu finden. Schönheit und Schmerz liegen in Wo der Wind wohnt oft nahe beieinander. Das Ende des Buches stimmt nachdenklich. Ist es eindeutig oder gibt es Spielraum für Interpretation? Das bleibt jedem selbst überlassen.
Fazit
Wo der Wind wohnt ist bedrückend, poetisch, kraftvoll und nicht immer einfach zu lesen. Die poetische Sprache täuscht nicht über die Grausamkeiten des Krieges hinweg. Ein beeindruckender Roman.
Wo der Wind wohnt (OT: Maqām ar-Rīḥ) von Samar Yazbek.
Am 19.08.2024 im Unionsverlag erschienen.
Aus dem Arabischen übersetzt von Larissa Bender.
ISBN: 978-3-293-00608-9 / 192 Seiten
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